Oberschwaben im Krieg III – Das Ende naht
Das Leben in Oberschwaben während des zweiten Weltkrieges – ein Erfahrungsbericht von einem Zeitzeugen über das sich nähernde Ende des Krieges.
Der Erfahrungsbericht meines Vaters über das Leben im zweiten Weltkrieg in Bad Waldsee ist aufgeteilt. Den Anfang 1939 und die nachfolgenden Jahre und die Bomben erreichen Oberschwaben. Wie der Krieg in Bad Waldsee zu Ende ging, wurde bereits beschrieben. Folgend nun die subjektive Perspektive meines Vaters auf das Geschehen gegen Ende des Krieges.
Erfahrungsbericht: Das Ende naht mit den Franzosen
Es waren die SS Leute, die Waldsee mit aller Gewalt verteidigen wollten. Es sollte mal wieder ein Bollwerk sein. Viele junge Leutnants, die gerade frisch ernannt wurden, haben sich zum Volkssturm gemeldet. Ihre Jugend war ihnen anzusehen und die Schulterstücke waren noch ganz weiß – sie waren motiviert den Endsieg herzustellen.
Es ging in der Stadt beim Rathaus wild zu. Dort war eine Tribüne aufgestellt und flammende Reden wurden von diesen Leutnants gehalten. Verteidigung und so und Führer und all den Scheiß. Da haben sich die Handwerker, z. B. der Maler Bertele, und der Kunstschmied Weber und noch andere – ein Handvoll eben – zusammen geschlossen, um die Stadt vor dem Wahn zu retten und ergriffen Maßnahmen.
Zuerst ging einer auf die Tribühne und hat den vor dem das Mikrophon aus der Hand gerissen und ein paar kräftige Ohreigen verpasst. Er hat ihm die Schulterstücke abgerissen und mit einem Fußtritt davon gejagt. Alle waren entsetzt und wie versteinert. Jeder hatte erwartet, dass die anderen Leutnants ihn sofort standrechtlich erschießen würden. Sie hatten zu der Zeit das Recht dazu gehabt. Aber es brach ein Tumult los. Und das, wenn man bedenkt, dass eine Frau Kiebler noch vier Wochen zuvor wegen einer Äußerung gegen Hitler und seine Bande ins KZ kam, wenn auch nur für ein paar Tage. Sie überlebte es und das war eine riesen Sache.
Als nächstes wurde der gefangene Franzose, bei der Frau Beckerer in der Molkerei arbeitete, um etwas gebeten. Er konnte sich, obwohl Gefangener, frei ohne Bewachung bewegen. Er sammelte die Milch von den Bauern ein. Er konnte mit seinem Milch-Lkw, der unverdächtig war, nach Aulendorf fahren, wo er eine die Bitte an die Franzosen übermitteln sollte. Sie sollen möglichst schnell ihren Vormarsch fortsetzten und nicht in Aulendorf verharren, wie sie es vorhatten. Weil sich in Waldsee die SS einrichten wollte, das war den Franzosen auch bekannt. Deshalb wollten sie auf Luftunterstützung warten. [Anmerkung: Die offizielle Variante ist anders, da war es der Zahnarzt Dr. Haerle, der die Franzosen bat, schnell in Waldsee einzumarschieren.]
Die Franzosen kamen noch in der Nacht, es war der 24. April. Am nächsten Tag waren da überall die Panzer und es kam eine Armada von Flugzeugen am Himmel heraufgezogen – ohne Verband nur lose – es müssen Hunderte gewesen sein. Die Franzosen haben nach den ersten Bomben sofort ihre Markierung ausgerollt, damit war das Bombardement beendet – “Gott sei Dank!”.
In den Tagen zuvor – das muss ich noch erzählen: Unser Gruß Anderen gegenüber war immer noch “Grüß Gott”, aber kurz vor dem Ende haben wir alle Leute ganz stramm mit dem Hitler Gruß gegrüßt. Die Antwort war immer die gleiche: “Wartet bloass ihr Hitler Buaba!” Das war das größte Schimpfwort dieser Tage.
Mein Bruder ist mit 16 Jahren zur Vorausbildung und danach zum Reichsarbeitsdienst; und anschließend ist er zur Wehrmacht gekommen. Er hat seine Gesellenprüfung [zum Bäcker] mit zwei Lehrjahren abgelegt, da er eingezogen wurde. Der Reichsarbeitsdienst hatte braune Uniformen – dunkelbraun. Er kam an den Bodensee zwischen Langenargen und Friedrichshafen, als ganz Gemeiner – also ohne Rang. Aber da sein Lagerchef im Gleichen Hause in Tettnang die Freundin hatte, er die Mutter, mein Bruder die Tochter, hatte er viel Freiheit. So zog er immer den Hauptvormanns Kittel (Uniform) an und alle mussten ihn grüßen, mit strammer Haltung. Der Rang ist ungefähr der eines Hauptfeldwebels beim Militär gewesen. Er konnte sich also auch Urlaubs- oder Passierscheine ausstellen. Das war ein Leben wie im Himmel.
Als er dann zum Militär kam, war es vorbei mit der Herrlichkeit. Mit einer schweren Angina wurde er dann heimgeschickt. Er musste noch ca. 40 Kilometer marschieren. Dabei brachte er kein Wort heraus. Die Militärpolizei, das waren Haudegen erster Klasse, haben ihn hin knien lassen und setzten das Gewehr zum Genickschuss an – gleichermaßen lief es dann bei den Franzosen, als er zu denen kam. Er war halt noch so verdammt jung und da ließen sie ihn laufen.
Der Sohn vom Hotel Württemberger Hof (Quer zum alten Postamt) war Offizier. Ein Hauptmann. Auch er kam zu Fuß nach Hause, wie viele. Ca. 10 Tage später, die Franzosen hatten sich schon eingerichtet, ging er mit voller Montur, d.h. in Ausgehuniform, versehen mit Orden und den Revolver an der Koppel, durch die Straße in Richtung Rathaus. Es hatte sich kein einziger Franzose an ihn heran getraut, erst bei der Kommandantur, als er sich offiziell ergeben hat, wurden ihm dann die Orden und die Schulterstücke abgerissen. Er wurde dann in die Gefangenschaft nach Frankreich überführt. Er ist erst nach Jahren entlassen worden und dann nach Kanada ausgewandert. Offenbar hat er sein Leben nicht mehr in den Griff bekommen, aber für uns Buben war er ein Held!